Impostor-Syndrom – wenn Selbstzweifel zum Karrierekiller werden

„Das kann ich nicht! Dieses Lob habe ich doch gar nicht verdient! Was ist, wenn jemand merkt, dass ich dafür nicht qualifiziert genug bin?“ Menschen, die am sogenannten Impostor-Syndrom leiden, sind solche Gedankengänge leider nur allzu vertraut. Bei dem auch als Hochstapler-Syndrom bezeichneten Phänomen, haben Personen trotz nachweisbarer Erfolge und Kompetenzen im Beruf und entsprechender Ausbildung permanent das Gefühl, dass sie einer Aufgabe bzw. Tätigkeit nicht gewachsen sind. Sie zweifeln dabei teilweise so stark an ihren Fähigkeiten, dass sie glauben, die eigenen Erfolge nicht verdient zu haben, und leben in der ständigen Angst, von anderen als "Betrüger:in" entlarvt zu werden.

Für Arbeitgebende kann das Hochstapler-Syndrom ebenfalls zu Herausforderungen führen. Laut HR Report 2022 von Monster entscheidet im Recruitmentprozess vor allem ein positives Auftreten von Kandidat:innen im Bewerbungsgespräch über Einstellung oder Absage. Stellen Bewerbende in dieser Situation ihre Fähigkeiten nicht richtig dar, weil sie zu sehr an sich zweifeln, geht dem Unternehmen womöglich ein Top-Talent durch die Lappen. 

Studien haben außerdem gezeigt, dass das Impostor-Syndrom zu einer verringerten Arbeitszufriedenheit und -leistung führen und das Risiko für Burn-Out erhöhen kann. Daher sollten auch Arbeitgebende die Merkmale des Impostor-Syndroms kennen und wissen, wie sie eine Arbeitskultur schaffen können, die Motivation und Gesundheit der Mitarbeitenden fördert.

Die  Angst, den eigenen Erfolg nicht verdient zu haben

Das Phänomen Impostor-Syndrom wurde erstmalig 1978 von den US-amerikanischen Psychologinnen Dr. Pauline Clance und Dr. Suzanne Imes beschrieben. Sie fanden in ihrer Studie unter Akademikerinnen heraus, dass viele Frauen trotz hervorragender akademischer und beruflicher Leistungen glauben, in Wirklichkeit nicht intelligent genug zu sein und jeden, der etwas anderes denkt, getäuscht zu haben. Das Phänomen ist allerdings nicht vom Geschlecht abhängig: Männer können genauso am Impostor-Syndrom leiden wie Frauen.

Während ein gewisses Maß an Selbstkritik durchaus gesund ist – da Menschen sich selbst betrachten, ihre Handlungen reflektieren und ihre Denkweise überprüfen und dabei lernen können – nehmen die Auswirkungen des Impostor-Syndroms oft extreme und ungesunde Formen an. 

Doch wodurch wird das Phänomen eigentlich ausgelöst, wie äußert sich das Syndromund wie kann man mit solch extremen Selbstzweifeln im (Berufs-)Alltag umgehen?

Die Auswirkungen des Impostor-Syndroms – "I'm a loser, baby" 

Das Impostor-Syndrom kann verschiedene Auswirkungen haben. Sie alle machen es den Betroffenen besonders schwer, ihr eigenes Können anzuerkennen und hemmen berufliche Erfolge:

  1. Große Selbstzweifel: Wer glaubt, ein:e Hochstapler:in zu sein, zweifelt die eigene Fähigkeit, Aufgaben erfolgreich zu bewältigen, oft stark an. Betroffene haben das Gefühl, dass sie nicht genug wissen oder können, um den an sie gestellten Erwartungen gerecht zu werden.
  2. Zum Scheitern verurteilt: Durch ihre vermeintliche Unfähigkeit glauben viele Betroffene, dass sie in all dem, was sie tun, keinen Erfolg haben werden. Die Angst vor dem Versagen hindert sie teilweise sogar daran, neue Herausforderungen anzunehmen oder Risiken einzugehen. Ein echter „Karrierekiller“ also.
  3. Fehlendes Erfolgsempfinden: Wer glaubt, selbst nicht qualifiziert zu sein, führt Erfolge oft auf äußere Umstände wie Glück, Timing oder die Hilfe anderer zurück. Das eigene Zutun zum Erfolg wird nicht anerkannt.
  4. Lähmender Perfektionismus: Hohe Ansprüche an sich selbst und die eigene Arbeit zu stellen ist nicht negativ. Betroffene des Impostor-Syndroms setzten sich selbst allerdings oft viel zu hohe und unrealistische Maßstäbe. Sie glauben, diese erreichen zu müssen, um nicht als Hochstapler:in entlarvt zu werden, und geraten dadurch immer weiter unter enormen Druck.
  5. Work hard(er): Um ihre vermeintliche Unfähigkeit zu kompensieren, investieren Menschen, die unter dem Impostor-Syndrom leiden, oft sehr viel Zeit und Energie in die Vorbereitung und Ausführung von Aufgaben.
  6. Lob muss verdient sein: Vermeintliche Hochstapler:innen tun sich oft schwer damit, Lob und Anerkennung anzunehmen. Sie glauben vielmehr, dass sie solche Komplimente gar nicht erst verdient haben, weil sie ihre Aufgabe eben nicht gut genug erledigt haben.
  7. Der Vergleich hinkt: Sich mit anderen Menschen zu vergleichen ist beim Impostor-Syndrom quasi das täglich Brot. Die Erfolge anderer loben Betroffene dabei häufig hoch in den Himmel, während sie die eigenen ignorieren.

Expert:innen sehen den Ursprung des geringen Selbstwertgefühl beispielsweise in mangelndem Lob oder zu hohen Erwartungen in der Kindheit. Auch Kinder, die permanent unter Leistungsdruck stehen oder übermäßig viel Kritik erhalten, können später extreme Versagensängste und das Impostor-Syndrom entwickeln. Erhöhte Selbstkritik muss jedoch nicht immer auf das Konto der elterlichen Erziehung gehen. So können auch andere belastende Lebenserfahrungen wie Mobbing, traumatische Erlebnisse und verschiedene individuelle Erfahrungen das Selbstvertrauen langfristig negativ beeinflussen.

(Not so) Fun Fact: Die Corona Pandemie führte im Jahr 2020 zu einer deutlichen Zunahme des Impostor-Syndroms. Das Marktforschungsunternehmen Censuswide hatte beispielsweise im Dezember 2021 im Auftrag von LinkedIn eine Umfrage unter 2.003 Berufstätigen in Deutschland herausgefunden, dass die Pandemie bei über einem Drittel (36 Prozent) der Befragten das Selbstbewusstsein am Arbeitsplatz negativ beeinflusst hat.

Was können Betroffene tun?

Die Symptome, die mit dem Impostor-Syndrom einhergehen, können ganz verschiedene und individuelle Ursachen haben und treten unabhängig von Geschlecht, Intelligenz und Alter auf. Wer unter überdurchschnittlich starken Selbstzweifeln und gravierenden Folgen daraus leidet, kann professionelle psychologische Beratung in Betracht ziehen. Die Identifikation der Ursachen, die zum Impostor-Syndroms beitragen, ist ein wichtiger Schritt bei der Bekämpfung der Auswirkungen. Eine anschließende Therapie kann zudem dabei helfen, sich der eigenen Stärken bewusst zu werden und persönliche Erfolge besser anerkennen zu können.

Unabhängig davon kann aber auch der Austausch mit Kolleg:innen, Vorgesetzten oder Freund:innen befreiend sein. Offene Gespräche können dazu beitragen, persönliche Herausforderungen zu teilen und ein unterstützendes Netzwerk schaffen, in dem Erfahrungen und Ratschläge geteilt werden. Um das Selbstwertgefühl zu stärken, kann es auch helfen, die eigene Arbeit zu reflektieren. Das kann zum Beispiel in einem Erfolgstagebuch passieren, in dem sowohl kleine als auch große Erfolge, Komplimente und gutes Feedback notiert werden.

Impostor-Syndrom: So stärken Unternehmen ihre Mitarbeitenden

Auch Unternehmen können aktiv werden: Vor allem eine positive Fehlerkultur, in der Betroffene weniger Angst vor möglichen negativen Auswirkungen haben, spielt dabei eine entscheidende Rolle. Zudem ist es wichtig, bei der Leistungsbewertung den Fokus auch auf den Prozess und nicht nur auf Ergebnisse zu legen.

Überstunden und Überarbeitung sollten zudem nicht belohnt oder gelobt werden, um eine gesunde Arbeitsatmosphäre zu fördern. Die Arbeit sollte vielmehr ausgewogen verteilt sein, um Überforderung zu vermeiden. Das verbessert in der Regel auch das allgemeine Arbeitsklima. Denn in einem Umfeld ohne starken Wettbewerb fühlen sich die Mitarbeitenden weniger dazu gedrängt, sich ständig zu vergleichen.

Stattdessen hilft regelmäßiges positives Feedback in Form von Lob und wertschätzenden Worte dabei, das Selbstwertgefühl der Mitarbeitenden zu stärken und Unsicherheiten zu mindern. Um die Gesundheit der Mitarbeitenden zusätzlich zu fördern, können Unternehmen zudem gezielte Maßnahmen wie Achtsamkeitstrainings durchführen.

Das Gegenteil des Impostor-Syndroms: Der Dunning-Kruger-Effekt

Wer dazu neigt, die eigenen Fähigkeiten und Kenntnisse zu überschätzen, ohne sich der eigenen Inkompetenz bewusst zu sein, leidet übrigens unter dem sogenannten Dunning-Kruger-Effekt. Dieses Phänomen kann dazu führen, dass Menschen sich extrem sicher in ihrer Expertise fühlen, obwohl sie tatsächlich wenig bis gar keine Kompetenz in diesem bestimmten Bereich besitzen.

Die goldene Mitte des Selbstbewusstseins

Idealerweise finden wir die goldene Mitte des Selbstbewusstseins irgendwo zwischen dem Dunning-Kruger-Effekt und dem Impostor-Syndrom. Doch das ist bei den ganzen Anforderungen und Erwartungen in unseren verschiedenen Lebensbereichen oft leichter gesagt als getan. Denn während wir zum Beispiel auf Social Media oder in Achtsamkeits-Apps zahlreiche Tipps erhalten, wie wir unsere Selbstzweifel bekämpfen können, sollten wir eben auch den Kontext betrachten, in dem diese Selbstzweifel entstanden sind und gedeihen. 

Einen sicherer Raum zu finden im privaten und beruflichen Umfeld, um darüber zu sprechen, ist für viele Betroffene meist ein erster Schritt, sich dem eigenen Denken zu stellen.

Quellen: Deutschlandfunk | hbr | Oberberg Kliniken | AOK | Haufe

Bilder: Vince Fleming auf Unsplash

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